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Social Media: Entertainment mit Suchtpotenzial

Aktualisiert: 22. Feb. 2022

Eine Push-Benachrichtigung. Deine beste Freundin hat dich in einem Beitrag markiert. Obwohl du auch erst in einer Stunde nachschauen könntest, tust du es sofort. Der innere Drang, eine Neuigkeit oder Nachricht zu bekommen und auch die Angst, etwas zu verpassen, lässt dich immer wieder zum Handy greifen. Hast du es erst einmal in der Hand, kannst du dich nur schwer davon lösen. Das Angebot ist schließlich enorm. WhatsApp, Instagram, Facebook, Twitter, Snapchat, Pinterest, Youtube, Google und noch viele mehr sorgen schnell dafür, dass aus zehn Minuten surfen vor dem Schlafengehen drei Stunden werden.


Glücksgefühle durch Kommentare, Likes und Shares – Forscher:innen und Psycholog:innen sind sich einig: diese Tools sind Formen sozialer Aufmerksamkeit, welche das Belohnungszentrum im Gehirn aktivieren. Postet ein:e Instagram-Nutzer:in einen Beitrag, der viele Likes erzielt, aktiviert das die gleichen Hirnareale wie der Konsum von Drogen oder Süßigkeiten. Es kommt zur Dopamin-Ausschüttung. Der Grat zwischen lockerer Freizeitbeschäftigung und Suchtverhalten ist dabei schmal. Sobald wir, als Konsument:innen, an einem Punkt sind, an dem wir immer mehr davon brauchen, kommt es zu einer Dosis-Steigerung. Sobald das Ende dieser erreicht ist, fühlen wir uns schlecht und es kommt zu Entzugserscheinungen, womit die Grundlage für eine Sucht geschaffen ist und sich problematische Verhaltensmuster entwickeln können.


Kennzeichnend für eine Sucht ist der stetige Kontrollverlust. Das Nutzer:innenverhalten gerät außer Kontrolle und der Blick auf das Smartphone wird zum Automatismus. Auch in Situationen, die man selbst als unpassend empfindet – zum Beispiel beim Familienessen – kann man seine Finger nicht davon lassen. Oder: wir wissen, dass wir müde sind, können uns aber nicht vom Gerät lösen.


Seit Jahren werden Diskussionen geführt, dass soziale Medien zu Depressionen, Magersucht oder sozialer Isolation führen können. Vor allem Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl sind anfällig dafür, in die heile Welt von Social Media zu flüchten. Durch ständiges Posten, erhält man Aufmerksamkeit und Bestätigung. Schnell entsteht so der Druck, regelmäßig Beiträge zu posten, um mehr Aufmerksamkeit und Bestätigung zu bekommen. Bleibt all das allerdings aus, folgen depressive Verstimmungen.


Dieses Phänomen beschreibt Jaron Lanier in seinem Buch „Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst“. Der US-amerikanische Informatiker, unter anderem bekannt aus dem Dokumentarfilm „The Social Dilemma“, gibt den Leser:innen in seinem Buch zehn gute Gründe ihre Social Media Accounts zu löschen. Er erklärt wie Hightech-Firmen durch Datenmissbrauch, Überwachung und Manipulation unser Verhalten und die Politik beeinflussen.

Das größte Problem dabei ist das endlose Angebot von anziehenden Inhalten in den sozialen Netzwerken. Bilder mit realitätsfremden Filtern, kurze und prägnante Texte, die nur das Beste aus dem Leben anderer Menschen zeigen. Auch die Inhalte, die uns der Algorithmus vorgibt, sind sorgfältig ausgewählte Beiträge, die eine hohe Wahrscheinlichkeit haben, von uns gemocht zu werden. So können Instagram, Facebook, Twitter und Co. schnell zur willkommenen Abwechslung werden, um problematischen Themen aus dem Weg zu gehen.


Der dabei nie endende News-Feed, die Push-Benachrichtigungen und das Weiterleiten zum nächsten Youtube-Clip spielen dabei eine große Rolle. Diese endlos fortlaufenden Angebote überfordern unsere Psyche und langfristig auch unsere Aufnahmefähigkeit. Unser normaler Alltag zeichnet sich dadurch aus, dass alle Tätigkeiten einen Anfang und ein Ende haben. Das menschliche Wesen ist darauf ausgelegt, Dinge zu Ende zu bringen. Doch in den sozialen Netzwerken gibt es auf einmal kein Ende mehr.

Netflix startet die nächste Folge, Youtube den nächsten Clip und Facebook findet immer noch eine Nachricht oder ein Bild, das wir noch nicht kennen. Dieses Überangebot sorgt dafür, dass wir meist viel länger auf den Plattformen verweilen, als wir eigentlich vorhatten.


Dabei sind wir, die User:innen, das Produkt der sozialen Netzwerke. Ziel der Unternehmen ist es, uns so lange wie möglich auf den Plattformen zu halten und diese so oft wie möglich zu nutzen, um attraktiv für Werbepartner:innen zu bleiben. Diese Konzerne verkaufen unsere Aufmerksamkeit und Daten an ihre Werbekund:innen. Das Resultat ist Bestätigung, auffällige Farben und positive, gestalterische Elemente, die uns anhängig machen sollen. Man möchte weiterscrollen und weiterlesen.


Das Scrollen durch unseren Feed ähnelt einem Spiel: „Gamification“, also die Anwendung von Spielmechanismen auf eine „Nicht-Spielumgebung“. Das Spiel bei Facebook ist beispielsweise die möglichst interessante Darstellung des eigenen Lebens im Gesamtbild. Für das spielerische Image in den sozialen Medien gibt es mittlerweile ganze Marketingstrategien und Entwicklungsabteilungen in großen Konzernen.


Die User:innen sollen so, kurzfristig und einfach, „belohnt“ werden. Dies geschieht zum Beispiel durch einen interessanten Post in der Timeline, einen Like oder einen Retweet. Damit User:innen immer wieder zurückkehren, muss die Belohnung stets variieren. Es darf nie klar sein, was einen erwartet, wenn man die App öffnet. Es ist ein schmaler Grat zwischen dem Erfolgsanreiz und der Wahrscheinlichkeit des Erfolges. Die kurze Ladezeit beim Öffnen der App macht es noch aufregender.

So entstehen zwei Effekte: Erstens die Benachrichtigung aktiviert die Neugier, man will wissen, was dahinter steckt.

Zweitens gibt es einem ein kurzzeitiges Gefühl der Befriedigung eine Benachrichtigung abzuarbeiten.

Benutzen wir die Anwendung erst einmal, gibt es weitere Mechanismen, die uns dort behalten.


Schreibt man einer Person in einem Chat und sieht an den springenden Punkten, dass man eine Antwort erwarten kann, wird man natürlich online bleiben, um der Person ebenso zügig antworten zu können.

Ähnlich bei Likes: Gefallen einer Person viele der eigenen Bilder, fühlt man sich verpflichtet auch ihre Bilder zu liken.

Klicks, Aufrufe, und Internet-Freunde werden zur Währung. Mittlerweile sind soziale Netzwerke eine „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ bei der es die Aufmerksamkeit anderer ist, die uns Wert verleiht. Mit der Zeit wird die App immer wichtiger. Man investiert Kontakte, Gedanken, Daten und vor allem Zeit. Es wird versucht, einen Status zu erarbeiten. Das, was wir digital darstellen, sind wir und die ganze Welt kann das sehen.


Daraus formt sich die Identität einer Person; geht man, wäre ein großer Teil davon verloren. Die meisten bleiben also.

Was kann man also tun, wenn wir von allein kein Ende beim Surfen und Konsumieren finden? Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung rät beispielsweise zu Sicherungs-Apps wie „Screen Time“ oder die „Bildschirmzeit“ bei Apple. Dort kann man genau festlegen, wieviel Zeit täglich auf verschiedenen Plattformen verbracht werden soll. Ist die Zeit um, wird die Seite vorübergehend gesperrt.


Sollte das alles keine Wirkung zeigen, hilft manchmal nur noch ein „Digital Detox“. Dabei wird für eine bestimmte Zeit gezielt auf Internet und digitale Medien verzichtet, um den Konsum insgesamt zu reduzieren. In einer Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom e.V. wurden mehr als 1 000 Personen in Deutschland ab 16 Jahren zum Jahresbeginn zu ihrem Nutzungsverhalten befragt. Immerhin knapp ein Zehntel hat sich für 2022 vorgenommen, wieder mehr Zeit bewusst offline zu verbringen.



| von Lucie Sophie Bruchhold

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