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Alle ballern, keiner schießt

Seit acht Monaten ist Timo clean. Vor zwei Monaten wurde er aus der Entzugsklinik entlassen. Doch das Brennen in der Nase und das Verlangen nach Rausch verlangen noch immer nach Befriedigung.

Ein Interview

Symbolfoto: Pexels

— In deiner Jugend hast du angefangen regelmäßig Cannabis zu rauchen. Mit 18 dann

das erste Mal chemische Drogen genommen. Wie kam es zum ersten Konsum? Das war im August 2017, da bin ich spontan mit Freunden zu einem Techno Rave im Wald gegangen. Sowas hatte ich bis dahin noch nicht erlebt. Für meine Leute war das nichts Neues, die haben sich dort direkt ein paar Bahnen mit Pep, also Amphetamin, gelegt und MDMA in die Getränke gehauen. Das war das erste Mal, dass ich mitgemacht habe.

— Was hast du dir davon versprochen? Wieso hast du dich ausgerechnet an diesem Tag entschieden, selbst zu konsumieren, obwohl du schon früher die Gelegenheit hattest?

Ich habe meine Freunde eigentlich immer dafür verurteilt. Wenn die am Wochenende konsumiert hatten, waren die zwei Tage lang zu gar nichts zu gebrauchen und haben sich abgekapselt. Aber die Wirkung, die die Drogen versprechen, hörten sich für mich auch sehr interessant an. Mein Kumpel meinte, du wirst wach und euphorisch, kriegst Bock zu tanzen und du kannst einfach loslassen. Alles Sachen, die sich für mich sehr gut angehört haben. Ich konnte nie wirklich loslassen, habe immer über alles zu viel nachgedacht. Auch beim Tanzen habe ich mich immer unwohl gefühlt. Dann wollte ich es einfach mal probieren.


— Bei einem Mal ist es nicht geblieben.

Das Gefühl, das ich in dieser Nacht hatte, war einfach großartig. Nach der MDMA-Mate, also kristallines MDMA im Getränk aufgelöst, ging es mir unendlich gut. Auch die zwei Wochen nach dem ersten Konsum ging es mir einfach nur besser. Ich hatte ein gesteigertes Selbstbewusstsein. Ich hatte kein MDMA-Down, was ich von meinen Freunden kannte, sondern mir ging es einfach top. Für mich war klar, dass ich wieder etwas konsumieren würde.


— Was passierte zwischen dem ersten Konsum der Partydroge MDMA und dem Punkt, an dem du beim täglichen Konsum von Amphetamin angelangt warst?

Anfangs war ich noch recht vernünftig. Ich ging nur alle paar Wochen mit Feiern. Es hat nicht lange gedauert, bis ich das erste Mal Amphetamin konsumiert habe. Das hat mir noch besser gefallen. Noch mehr Bock zu tanzen, noch viel, viel wacher. Als Kiffer kannte ich das nicht, so viel Energie und Bock zu haben. Mit den Drogen hat sich für mich eine Welt eröffnet: Die Techno-Szene verkörpert einen Lifestyle, den ich gefeiert habe. Ständig unterwegs in Clubs sein, von anderen DJs lernen, networken – nie habe ich so viele coole Menschen kennengelernt, wie in dieser Zeit.


— Als Techno DJ kennt man dich in Magdeburg, du legst hin und wieder noch auf. Wie hat sich das Auflegen auf deine Drogenlaufbahn ausgewirkt?

Im November 2017 habe ich angefangen selbst aufzulegen. Das Mucke machen hat mir Spaß gemacht, gerade wenn ich auf Stoff war. Man könnte sagen, durchs Auflegen hat sich der Konsum potenziert. Das erste Mal vor Leuten auf einem Rave zu spielen, war großartig. Der Dude sein, der vorne steht und den Leuten mit der Mucke Freude bereitet – das wollte ich immer öfter haben. Jedes Wochenende habe ich irgendwo aufgelegt, auf Raves oder bei After-Hour-Partys – aus einer Nacht wurden zwei. Bloß nicht aufhören zu konsumieren. Immer häufiger, immer länger unterwegs, immer exzessiver.


— Nicht alle Leute aus der Techno-Szene sind so exzessiv dabei, oder?

Nein, aber eine Ausnahme bin ich sicherlich auch nicht. Meine Freunde haben zwar auch konsumiert, aber nie in der Menge und Häufigkeit wie ich. Die haben sich teilweise schon Sorgen um mich gemacht. So hat es dann angefangen, dass ich nicht mehr aufrichtig mit meinem Konsum umgegangen bin. Anstatt nach Hause zu fahren wie vorgegeben, bin ich auch mal allein feiern gegangen, weil ich wusste, da kenne ich Leute, da kriege ich Stoff.


— Hattest du zu dem Zeitpunkt schon den Gedanken, dass du keine Kontrolle mehr über deinen Konsum hast?

Ich glaube, mir war schon früh klar, dass ich die Kontrolle verloren habe. Aber ich fand es zu gut; ich habe darüber gelacht. Mit anderen Leuten aus der Szene haben wir uns darüber lustig gemacht, dass wir keine Kontrolle haben. Richtig schlimm wurde es erst nach der Trennung von meiner Ex-Freundin, das war im Dezember 2020. Mir gings nicht gut, und ab da war ich dann eigentlich fast immer drauf.


— Wie hat sich das auf dein Leben ausgewirkt?

Mein Studium hatte ich längst abgebrochen und auch bei der Arbeit war ich ewig nicht mehr. Ich habe mich um nichts gekümmert, mir war einfach alles völlig egal. Konsum war wichtiger als alles andere. Das Wochenende ging von Donnerstag bis Montag, drei Tage wach war keine Seltenheit. Tagsüber lag ich fertig in der Bude rum, nur durch Amphetamin kam ich wieder in die Gänge. Damals habe ich nur noch 60 Kilo gewogen und sah dementsprechend ausgemergelt aus.


— Wann wurde dir klar, dass es so nicht mehr weitergeht?

Erst in der Therapie wurde bewusst, wie scheiße mein Leben eigentlich war. Jeden Tag derart platt zu sein, keine fröhlichen Momente mehr haben außer [sie sind] mit Konsum verbunden. Dass ich so nie mehr leben will, wurde mir tatsächlich erst dort klar.


— Wie kam es dann dazu, dass du dich in eine Entzugsklinik begeben hast?

Den Entzug habe ich nicht freiwillig gemacht. Die Therapie war Teil meiner Bewährungsauflagen: vier Wochen stationäre Entgiftung und 180 Tage Entzugsklinik am Arsch der Welt.


— Was nimmst du mit aus der Entzugsklinik?

Dass das echt Abfuck ist. Und einen Rat von meinem Therapeuten: sollte ich nochmals abstürzen, muss ich meinem Vater sagen, dass er mich fallen lassen soll. In meinem Fall sind meine Eltern in die Co-Abhängigkeit gerutscht. Ich konnte nur leben, weil sie mich ernährt haben, meine Wohnung bezahlt haben und meinen Konsum quasi mitfinanziert haben. Nur wenn der Konsument komplett auf die Fresse fällt, vielleicht obdachlos wird oder ähnliches, gibt es die Möglichkeit, aus eigenem Antrieb aufzuhören und das Leben wieder auf die Kette zu bekommen.


— Jetzt bist du zwei Monate wieder in Freiheit. Wie geht es dir heute?

Gut. Aber wenn ich allein bin, habe ich oft depressive Stimmung. Suchtdruck ist bei mir oft mit Traurigkeit und Melancholie verbunden. Wenn ich mich scheiße fühle, habe ich nur umso mehr das Verlangen zu konsumieren. Das Ding bei Suchtdruck ist, dass man nicht wirklich was dagegen tun kann.


— Warst du seit dem Entzug schon in so einer gefährlichen Situation?

Schon einige Male… Eigentlich erfahre ich nur Support in meinem Freundeskreis und alle nehmen Rücksicht. Aber kürzlich als ich bei Freunden war, lag da eine Ziehplatte und Röhrchen. Das war hart zu sehen. Aber mit zwei, drei Bier intus wurde der Suchtdruck noch größer. Die sinkende Hemmschwelle beim Alkohol ist das gefährlichste.


— Woher nimmst du in Situationen wie diesen die Kraft zu widerstehen?

An jenem Abend war es echt knapp. Ich glaube, wenn ich nicht die MPU (Medizinisch-Psychologische Untersuchung) machen müsste, wäre ich rückfällig geworden. Ich möchte meinen Lappen zurück. Da half dann nur mich aufs Rad zu schwingen und nach Hause zu fahren. Man muss sich ins Gedächtnis rufen, wie lange man clean ist. Acht Monate clean – darauf kann ich stolz sein. Und trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, nicht wieder einmal etwas zu konsumieren. Namen wurden geändert


| von Kristina Koch


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