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Jugend ohne Schlaf

Ein Teufelskreis aus Ekstase, Rausch und Schlaflosigkeit


Ob die Neuverfilmung von Christiane F. oder das neue Album von Capital Bra – Drogen sind allgegenwärtig. Doch während Rapsongs über das Betäuben der Sinne massenhaft gestreamt werden, wird im Alltag nur hinter vorgehaltener Hand über harte Drogen und deren Ausmaße gesprochen.


Drogen scheinen nicht in die Mitte der Gesellschaft zu passen und werden den sozial Abgehängten, den Einsamen und Verlorenen zugeschrieben. Hinter der verschlossenen Tür zur Clubtoilette spielt sich eine ganz andere Realität ab, eine Parallelwelt, die vor allem für Jugendliche besonders reizvoll ist.


Mary, die eigentlich gar nicht Mary heißt, hat genau das erlebt. Mit 14 konsumierte sie das erste Mal Amphetamine und verbrachte ihre Abiturjahre zwischen Stroboskoplicht, Zieh-Röhrchen und After Hours. Das ist beinahe 10 Jahre her. Sie ist froh, dass sie da „nicht weiter drin hängengeblieben ist“, sagt sie, als wir uns im Westen von Leipzig treffen.


Es riecht nach Silvester, obwohl erst Mitte November ist und über der Stadt hängt ein deprimierender Belag aus grauem Nebel. Mary trägt eine rote Mütze, eine weiße Latzhose und eine Sonnenbrille von Dolce & Gabbana. In der Hand hält sie ein Sternburger Export. Gemeinsam stapfen wir planlos durch die beinahe menschenleeren Straßen.


„Mit 14 Jahren war ich in einem Club und habe das erste Mal mitbekommen, wie Leute Nasen gezogen haben.“


Viele Drogen, unter anderem Kokain und Speed, werden nasal konsumiert. Dabei wird Pulver mithilfe eine Röhrchens in kleinen Bahnen durch die Nase geschnupft.


Mary war geflasht von diesem Erlebnis. Alkohol und Cannabis – das kannte sie, davon hatte sie gehört, es selber mal probiert. Beide Substanzen sind relativ geläufig und zum Teil gesellschaftlich akzeptiert. Als anderes Extrem kannte Mary Heroin und das dazugehörige Bild aus den Medien, inklusive kaputter Venen, Obdachlosigkeit und Straßenstrich. Für Mary tat sich eine komplett neue Welt auf, als sie realisierte, dass Substanzen wie Amphetamine überhaupt existieren. „Ich fand das alles erstmal mega spannend und habe ganz viele Fragen gestellt. Man spricht ja nie darüber“.


Mary fing an, sich Wissen über Speed bei Freund:innen zu erfragen. „Ich weiß auch gar nicht mehr, ob mir die erste Nase angeboten wurde, oder ob ich gefragt habe. Ich weiß nur noch, dass ein Freund von mir ganz viele Nasen gelegt hat und ich direkt 23 gezogen hab“, sie lacht schief und betont im selben Augenblick, dass das „schon ein wenig übertrieben war.“


Trotz hoher Dosierung war Mary von der Erfahrung enttäuscht und hatte etwas anderes erwartet. Nach diesem Abend ging sie immer öfter feiern und konsumierte dabei Speed. Wenn Mary über diese Zeit spricht, fällt oft das Wort „Kontrolle”. Für sie fühlte es sich damals nicht falsch oder unnormal an. Im Gegenteil, dachte Mary: Andere Jugendliche tranken Unmengen Alkohol am Wochenende, das war doch nichts anderes?


Zu Beginn konsumierte Mary ausschließlich Speed. „Von anderen Drogen wie MDMA hab ich mich anfangs ferngehalten. Da hatte ich schon eine Hemmschwelle“, sagt sie. Mary geriet dann in einen sehr partywütigen Freundeskreis, wo die Feier niemals enden wollte. Das sei so in der elften Klasse gewesen. „Man hat sich durch die Woche gehangelt und immer wahnsinnig auf das Wochenende gefreut. Manchmal haben wir auch abends während der Schulzeit getrunken und gepeppt, da hat man eben am nächsten Tag blau gemacht“, sagt sie über ihre Partyhochzeit während des Abiturs.



Zu der Zeit fuhren Mary und ihre Freund:innen nach einem wilden Clubabend weiter zu sogenannten Chill Outs und der Konsum von anderen Drogen innerhalb ihres Bekanntenkreises verselbständigte sich. Das hing, Marys Ansicht nach, stark mit einem Jungen aus der Gruppe zusammen. „Der hatte viel Geld von seinen Eltern, ne Menge Zeit und eine eigene Wohnung, wo man immer hin konnte. Und Drogen waren halt auch immer da“.


Mary ging dort hauptsächlich hin, weil sie Zeit mit ihren Freundinnen verbringen wollte und fand viele Jungs der Gruppe eher problematisch. „Irgendwie war man aber trotzdem eine Gemeinschaft. Man hatte ja auch Bock auf dieses Beisammensein, zusammen Chillen und Feiern“, sagt Mary und dreht sich eine Zigarette. Damals seien immer verrücktere und absurdere Geschichten passiert, die sie als sehr aufregend empfand.


„Ein paar von denen sind auf Ecstasy noch Auto gefahren. Da bin ich sogar mal mitgefahren. Und manche haben schon mit 14 LSD genommen. Sowas fand man dann immer voll drüber, obwohl man ja selber mega drüber war“, versucht sie die damalige Zeit zu reflektieren.


„Ich war wie süchtig, aber nicht nach den Drugs, sondern nach dem großen Ganzen. Immer gab es noch krassere Storys. Man fand das ja auch alles ganz lustig. Das hatte viel mit Drogen zu tun, aber auch ganz, ganz viel war Alkohol. Alkohol hat im Übrigen immer eine Rolle gespielt. Nie wurde etwas konsumiert, ohne getrunken zu haben“.


Sie hatte das Gefühl in zwei Welten zu leben und konnte mit Menschen, die einen anderen Lifestyle lebten, nicht mehr viel anfangen. Für Mary stand fest: Diese verrückten Geschichten, das ging nur mit der Gruppe.


Damals sei es die oberste Priorität gewesen, einen Ort zu finden, an dem man morgens noch weiter feiern konnte. Trotzdem hatte Mary oft moralische Bedenken und distanzierte sich. „Ich bin nie tiefer in die Kreise reingegangen, bei denen ich dachte: Das will ich nicht, hier ist es einfach richtig abartig und schlimm“.


Heute ist Mary froh, dass Drogen nicht mehr Hauptthema ihres Lebens sind. „Es ist auch einfach nicht cool. Innerhalb des Kreises fand man die Geschichten zwar geil, aber ich hab mich immer geschämt und es damals nur ganz wenig Leuten erzählt. Wie so ein kleines Geheimnis“, sagt sie.


Ihr exzessives Partyleben endete relativ unspektakulär, ohne großen Knall, Suchttherapie oder Intervention. Das Leben ging einfach weiter. Mary wurde älter und heute sind ihr andere Dinge wichtig. Ihren aktuellen Konsum empfindet sie nicht als problematisch. „Das passiert dann halt auch mal, aber darum baut sich mein Leben nicht“, erklärt sie. Rückblickend kritisiert sie die Art und Weise, wie in den Medien mit Drogen umgegangen wird und wünscht sich Aufklärung ohne Stigmatisierung. „Man müsste einfach offener über sowas quatschen können. Und wenn mal über Drogen geredet wird, ist es einfach so weit weg von dem, wie es wirklich ist“, sagt sie.


In den meisten Fällen bessert sich akuter Drogenmissbrauch nicht von allein und vielen Jugendlichen fällt es weitaus schwieriger, sich aus der Partyszene zu lösen. Dabei können Folgeschäden entstehen, die für die Betroffenen selbst erst später ersichtlich sind, wie psychotische Symptome oder physische Einschränkungen. Es ist ein grundlegendes Problem, dass Drogen fern der Gesellschaft verortet werden und zum Teil immer noch tabuisiert werden. Mit einem differenzierten und vor allem offenen Diskurs könnten Jugendliche wirksamer über die Gefahren aufgeklärt werden.


| von Julia Fritz

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