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Beim high sein dabei sein

Drogen sind etwas Schlechtes. Einer Person die Drogen konsumiert, sieht man es an. Drogen zerstören Leben. Inwiefern stimmt das gängige Bild von Sucht und Drogen mit der Wirklichkeit überein? Und gibt es Drogenkonsum ohne Sucht? Unsere Autorin Mara Kruse hat sich auf Spurensuche begeben und eine Gruppe junger Leute getroffen, die in ihrer Freizeit regelmäßig Drogen nehmen.


Die „Washington Post“, „New York Times“ und viele mehr preisen die Hitserie „The Breaking Bad“ als eine der erfolgreichsten und beliebtesten Serien aller Zeiten an. Eine Serie, die davon handelt, dass sich ein Chemielehrer immer tiefer in den Drogenhandel stürzt. Aus Angst vor seinem frisch diagnostizierten Krebs, baut er sein Drogengeschäft immer weiter aus, damit er seine Behandlungskosten bezahlen und seine Familie finanziell absichern kann, bevor er stirbt. Er wird im Laufe der Zeit zu einem völlig anderen, sehr gefährlichen Menschen, der betrügt, lügt und tötet.

Bösartigkeit, Betrug und Gewalt. Das sind Drogen und das ist das Drogengeschäft. „The Breaking Bad“, was übersetzt so viel heißt wie „auf die schiefe Bahn geraten“, spiegelt genau das Bild wider, was ein Großteil der Menschen mit Drogen in Verbindung bringt.

Es ist weit bekannt, dass gewisse Stoffe die negativsten Seiten eines Menschen zum Vorschein bringen können. Genauso können sie aber auch die positivsten Seiten hervorbringen. Unter dem Einfluss von Drogen sein. Eine berauschende Wirkung, die viele Gefühle auslösen kann. Sich für eine bestimmte Zeit befreit fühlen, inspiriert, effizient, kontaktfreudig, ausgelassen, beruhigt, lebenslustig, sorglos, erregt, belustigt, heiter oder locker fühlen. Die Liste nimmt kein Ende. Von Droge zu Droge, von Mensch zu Mensch und von Erfahrung zu Erfahrung unterschiedlich. Wenn ich meine Mitmenschen frage, was sie sich vorstellen, wenn sie an Drogen denken, erzählt mir die Mehrheit von gebrochenen Menschen, dem totalen Absturz und einem Leben am Existenzminimum.


Ein Abend im Konsumrausch: Das habe ich erlebt


Ich bin neugierig und möchte die als beliebt angesehene Wirkung ausgewählter Drogen selbst sehen. Über Ecken und Umwege bekomme ich die Möglichkeit, eine Handvoll Menschen zu treffen, mich mit ihnen zu unterhalten und sie zu beobachten. Alles, während sie high sind.

Die Freundesgruppe, die ich begleiten darf, ist sehr durchwachsen. Von Ersti über Langzeitstudierenden und Auszubildenden zu Arbeitstüchtigen zwischen 18 und 27 Jahren. Wir sitzen mit sechs Personen im Wohnzimmer einer Wohngemeinschaft auf einer wilden Stilmischung aus alten Sofas und Stühlen. Ich wundere mich über die Größe der Gruppe, weil ich immer davon ausgegangen bin, dass Menschen, die Drogen nehmen, das irgendwie heimlich in einem kleinen, dunklen Zimmer machen oder in einer eher kleinen Gruppe, wenn überhaupt. Doch mir wird schnell klar, dass Drogen in dieser Runde absolut kein Tabuthema sind, sondern über sie und ihren Gebrauch sehr offen gesprochen wird. Bei den Rauschmitteln, die hier offen auf dem Couchtisch liegen und deren Wirkung ich an diesem Abend beobachten darf, handelt es sich um die Amphetamine MDMA und Pep sowie Marihuana.

Symbolfoto: Pexels

Mein Sitznachbar erklärt mir, dass die ausgewählten Drogen zu den Partydrogen zählen. Man werde mit MDMA und Pep sehr gut gelaunt und hibbelig. Deshalb habe man einen großen Bewegungsdrang, der zu viel Getanze führen kann oder zu einem Nachtspaziergang. Plötzlich sei es enorm wichtig, spannend wirkende Themen bis ins letzte Detail auszudiskutieren. „Man wird einfach richtig gesellig.“ Marihuana rufe hingegen eine gegenteilige Reaktion hervor. Es versetze eine Person eher in eine entspannte, gelassene Lage. „Manchmal möchte man einfach chillen und herunterkommen. Da ist ein bisschen Gras echt angenehm.“ Im Verlauf des Abends kann ich beobachten, wie realitätsnah seine Erklärung ist. So kann ich diejenigen Anwesenden, die “gekifft” (Marihuana geraucht) haben, sehr gut von denen unterscheiden, die MDMA oder Pep genommen haben.


Die Wirkung von MDMA und Pep setzt in nicht mehr als fünfzehn Minuten nach der Einnahme ein. Die Gruppe teilt sich zwischen deprimiert wirkenden und zurückgezogenen Couchpotatos und einer wild und frei tanzenden Gruppe. Ich sitze auf einem der Sessel und sehe dabei zu, wie die zwei Personen auf dem Sofa neben mir ins Leere starren. Wenn ich ihnen eine Frage stelle, brauchen Sie für meinen Geschmack immer etwas zu lange, um zu reagieren. Als würden sie die Zeit etwas langsamer wahrnehmen als sie wirklich verläuft. Als ich das anspreche, treffe ich auf eine Art “Mir-egal-Einstellung”.


Der Gastgeber, der bisher gut gelaunt das Tanzbein geschwungen hat, kommentiert, dass Menschen, nachdem sie Gras geraucht haben, oft keine Lust mehr auf irgendwas haben und einfach für sich sein wollen. Das klingt für mich so, als sollte ich sie eine Weile in Ruhe lassen. Also befasse ich mich stattdessen mit der aufgeweckteren Gruppe, die das Wohnzimmer in eine Disco verwandelt hat, indem sie laute Musik abspielen und das Licht dimmten.


Selten habe ich so aufgeschlossene und fröhliche Menschen erlebt. Die Stimmung innerhalb ihres kleinen Kreises ist auch für eine nüchterne Person wie mich berauschend. Sie haben mich komplett mit ihrer Laune angesteckt. Ab und zu fällt ein Satz, der mich stutzig macht, wie „Warum habt ihr alle Brillen auf?“ und „Habt ihr schonmal richtiges Gras geraucht? Also Rasen?“. Ich lerne schnell, dass solche Unterhaltungen zum Spaß dazu gehören und nicht zu ernst genommen werden sollten. Dass ich dabei bin, ist für die Gruppe auch eine neue Situation, aber alle sind sehr nett und integrativ mir gegenüber. Auch das wird ausgiebig kommentiert. „Raucher sind sofort genervt oder sogar sauer, wenn jemand eine Zigarette schnorrt. Betrunkene werden leicht aggressiv und prügeln sich. Aber jemand der high ist, wird meistens richtig spendabel und kontaktfreudig. Für den Moment ist der jedermanns gut gelaunter allerbester Freund.“


Am nächsten Morgen sehe ich nichts mehr von der extrem positiven Stimmung des Vorabends. Das Blatt hat sich gedreht und die “Kiffer” sind jetzt gut gelaunt. Auf mich wirkt es so, als hätten diejenigen, die MDMA oder Pep eingenommen haben, eine schlimmere Katerstimmung als nach dem größten Alkoholabsturz. Von Geselligkeit und Freude keine Spur mehr. Sie fühlen sich kaum noch gesellig, sondern bloß noch lustlos. So als hätte jeder Mensch eine bestimmte Menge an Glückshormonen, die in einer Woche ausgeschüttet werden können, und die anwesenden MDMA- und Pep-Konsumierenden haben ihren Vorrat an einem Abend bis zum letzten Rest verbraucht. So leer sehen ihre Blicke jetzt aus und so deprimiert und wehleidig klingen ihre Stimmen. Als der Pizzalieferant an der Tür klingelt, führt das kurz zu einer Diskussion, weil sich niemand dazu bringen kann, aufzustehen. Dann wird die Person genötigt, die den kürzesten Weg zur Tür hat. Schon die Energie, die es braucht, um aufzustehen, stellt einen zu hohen Aufwand dar.


Ist dieser Tag danach nicht ein zu hoher Preis für ein bisschen gute Laune am Vorabend? „Ja und nein. Es ist schwierig zu beschreiben. Wenn man diese Drogen nimmt, fühlt sich alles intensiver an, man ist sensibler, aber man wird auch viel aufmerksamer, nimmt vieles anders wahr. Es ist ein bisschen so als würde man seine Sinne erweitern. Wenn man es nicht selber mal erlebt hat, wird man es auch nie richtig nachempfinden können, aber egal wie dreckig man sich danach fühlt, es lohnt sich trotzdem.“


Der Sonntag ist Ausnüchterungstag. Am Montag gehen alle wieder ihrem Alltag nach. Sie gehen zur Arbeit, der Universität oder zur Schule. Die Leute, die sie dort treffen, werden ihre Arbeit nicht hinterfragen, weil sie nicht wissen wie sie ihr Wochenende verbracht haben.


Das Bild, das mir von der Gesellschaft ein Stück weit aufgezwungen wurde, hat sich nicht bestätigt. Es kann Drogenkonsum auch ohne Sucht geben. „Wenn die Menge nicht gesteigert, die Toleranz nicht weiterentwickelt und die Dosis nicht erhöht wird, gibt es einen sogenannten kontrollierten Umgang mit Suchtstoffen“, erklärt mir Evelin Nitsch-Boek, Leiterin des Suchtberatungszentrums Drobs in Magdeburg. Das beste Beispiel hierfür sei unter anderem Alkohol, welcher auch ein Suchtstoff ist, von dem viele Menschen nicht abhängig werden, obwohl sie öfter große Mengen konsumieren.


Ein Mensch, der sich gelegentlich Rauschmittel zuführt, spiegelt nicht die Gewalt, den Betrug oder die Bösartigkeit wider mit der Drogenkonsum so oft in Verbindung gebracht wird. Die Menschen, die ich getroffen habe waren verantwortungsvolle, gepflegte Mitglieder der Gesellschaft. Drogen spielen in ihren Leben eine Nebenrolle. Ob sich die Erfahrung trotz des Katers am folgenden Tag lohnt, kann ich nicht beurteilen. Die Schäden die der Körper langzeitig davontragen kann, liegen in der Verantwortung des Einzelnen. Es sollte immer beachtet werden, dass jede konsumierende Person ein gewisses Risiko eingeht, wenn sie mit Rauschmitteln in Kontakt tritt, da es je nach Suchtstoff unterschiedlich hohe Suchtpotenziale gibt, die leicht unterschätzt werden können. Aber am Ende muss es jeder Mensch selber wissen, wie viel er verträgt.

Es gilt hier nicht die Darstellungen der schlimmen Verläufe und Folgen einer Drogensucht in den Medien zu verharmlosen, aber es sollte auch nicht der Konsum kleiner Substanzmengen extremisiert werden.


| von Mara Kruse

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