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Kaffee hier, Kokain da

Aktualisiert: 22. Feb. 2022

Knallbunte Pillen in Form eines lächelnden Smileys, die von Partywütigen mit einem Schluck Vodka-E runtergespült werden, bevor diese die Tanzfläche unsicher machen. Miniatur Gefrierbeutel befüllt mit weißem Pulver, die auffällig unauffällig die Manteltaschen der Besitzer:innen wechseln, um anschließend, in einer dunklen Gasse, in kreativster Art und Weise in den Körper gejagt zu werden. Siebenblättrige-Kleeblatt Plantagen, die in abgedunkelten Kellern von schläfrigen Jogginghosenträgern mit klobigen Goldketten wuchern. Sucht ist aggressiv, Sucht ist kriminell, Sucht ist gefährlich. So kennt man es aus dem Fernsehen. Oder etwa nicht?

Ein Kommentar


Starker Konsumdrang, Kontrollverlust, Toleranzentwicklung, körperliche Entzugssymptome, Vernachlässigung anderer Interessen und anhaltender Konsum trotz schädlicher Folgen, sind laut International Classification of Diseases (ICD) Anzeichen für eine Abhängigkeit.


Ja, diese Kriterien treffen sehr wohl auf den kokainabhängigen Obdachlosen am Bahnhof zu, aber eben auch auf die Sekretärin Karin, die sich heute schon den zwölften Kaffee in den Rachen laufen lässt, um nicht mit dem Gesicht in die Computertastatur einzutauchen und deren Beine schon nervös auf und ab wippen. Zum einen wegen der exzessiven Koffeinzufuhr, aber auch aus Vorfreude auf die verdiente Raucherpause. Fünf Minuten, schnell herunterkommen bevor es wieder an die Arbeit geht. Dann wird der nächsten Pause entgegengefiebert.


Oder auf Leon, der das Volleyball-Training heute schon wieder hat ausfallen lassen, weil er nach stundenlangem Scrollen noch immer nicht am Ende der TikTok-Startseite angekommen ist. Normalerweise ist das nicht so, aber heute war ein stressiger Tag, da braucht man einfach ein bisschen „Selfcare.“ Und morgen? Morgen lädt der Lieblings-Youtuber ein neues Video hoch, das darf man auf keinen Fall verpassen. Am Wochenende ist eh Entspannen angesagt. Aber am Montag, da kommt das Handy echt mal weg. Diesmal wirklich.


Der Unterschied: an Karin und Leon wird nicht kopfschüttelnd, mit zwei Metern Sicherheitsabstand in der Stadt vorbeigelaufen. Sie werden nicht als Junkies – menschlicher Abfall – betitelt und somit wortwörtlich von der Gesellschaft weggeschmissen. Obwohl sie vielleicht mehr mit dem kokainabhängigen Obdachlosen am Bahnhof gemein haben, als sie es sich vielleicht vorstellen können.


Sucht hat viele Gesichter, auch wenn diese sich nicht immer auf Anhieb erkennbar geben.


| von Marie Seifert

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