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Alkohol - Der Schlüssel zum besseren Leben?


Laut einer Theorie des norwegischen Psychiaters Finn Skågerud wird der Mensch mit einem Alkoholdefizit von 0,5 Promille geboren. Wer konstant diesen Pegel hält, soll kreativer und sozialfähiger sein. Zwar ist diese Theorie in Wahrheit nur ein aus dem Kontext gerissenes Zitat, doch für den dänischen Regisseur Thomas Vinterberg war es die Inspiration für seinen Erfolgsfilm „Der Rausch“. Im Film entscheiden sich vier Gymnasiallehrer, jene vermeintliche Theorie durch einen Selbstversuch zu prüfen. Martin, Peter, Nikolaj und Tommy wollen unter der Woche einen konstanten Blutalkoholwert von 0,5 Promille halten, auch während der Arbeit. Zunächst scheint der Alkohol tatsächlich ihr Leben einfacher und erfolgreicher zu machen. Die Lehrer werden von ihren Schüler:innen besser angenommen und Martin kommt nach einer Ehekrise seiner Frau wieder näher. Von den positiven Veränderungen überrascht, beschließt die Gruppe ihren Blutalkoholwert auf 1,0 Promille zu steigern. Auch das scheint zunächst ohne negative Konsequenzen zu bleiben und so entschließen sie sich, die leistungssteigernde Wirkung des Alkohols bis zum Maximum auszureizen. Doch ab hier kippt der Film und die Ereignisse nehmen eine drastische Wendung. Der Film hat mich sehr beeindruckt. Vor allem hat ein Gedanke mich nicht mehr losgelassen: Was wäre passiert, wenn die Protagonisten nicht übertrieben und sich streng an die 0,5 Promille Obergrenze gehalten hätten? Könnte das tatsächlich das Geheimnis für ein besseres und entspannteres Leben sein? Um diese Fragen zu beantworten, beschließe ich, das Experiment aus dem Film nachzustellen. Eine Woche lang werde ich tagsüber versuchen einen Blutalkoholwert von 0,5 Promille zu halten. Nur, wenn ich nichts zu tun habe und zu Hause bin, werde ich nicht trinken und um keine Verbote und Gesetze zu brechen, trinke ich ausschließlich dort, wo es erlaubt ist und werde kein Auto oder Ähnliches fahren. In meiner Familie gibt es keine genetische Veranlagung für Suchterkrankungen und auch sonst habe ich keine gesundheitlichen Einschränkungen. Sicherheitshalber spreche ich mein Vorhaben mit meinem Hausarzt ab. Dieser gibt mir sein Okay, rät mir aber auf meinen Körper zu hören und gegebenenfalls die Länge Alkohol - Der Schlüssel zum besseren Leben? Dieses Experiment wurde nach Rücksprache mit einem Arzt durchgeführt. Alkohol ist eine Droge und es sollte verantwortlich mit ihr umgegangen werden. Auch „Pegel“- bzw. „Spiegeltrinken“ kann eine Form von Alkoholismus darstellen. Wenn du Hilfe brauchst, wende dich bitte an eine Suchtberatungsstelle. 51 meines Experiments anzupassen. Mit dem Okay meines Arztes, einem Alkoholmessgerät aus dem Internet und einer Menge Wein starte ich in die Woche.


„Abends hätte ich die Kurzen locker weggesteckt,

doch heute morgen erscheinen sie mir wie das Ekelhafteste der Welt.“


Es beginnt ruhig: Am Montag habe ich weder eine Vorlesung, noch muss ich arbeiten. Meine Mitbewohnerin und ich beschließen, in ein Möbelhaus zu fahren. Um neun Uhr frühstücke ich. Statt Kaffee gibt es für mich vier Kurze. Noch nie habe ich so früh am Morgen getrunken und für meine Mitbewohnerin ist es ein großer Spaß, mich leiden zu sehen. Abends hätte ich die Kurzen locker weggesteckt, doch heute morgen erscheinen sie mir wie das Ekelhafteste der Welt. Auf dem Weg zum Möbelhaus puste ich das erste Mal in meinen Alkoholtester: 0,3 Promille. Noch nicht genug. Ich habe vorsorglich ein paar Kurze eingepackt und trinke zwei. Im Möbelhaus, merke ich deutlich die Wirkung des Alkohols. Wie in dem Film ist es anfangs ganz lustig. Mit Freude werfe ich mich auf die ausgestellten Sofas und Betten. Ich habe auch sonst eine Schwäche für Bettwäsche und Deko, aber angetrunken fällt es mir besonders schwer, nicht leichtsinnig alles in meinen Einkaufswagen zu werfen. Allgemein macht das Einkaufen noch mehr Spaß als sonst. Doch als ich eine Fernbedienung finde, darauf drücke und nichts passiert, fühle ich mich auf einmal verunsichert. Ich drücke noch einmal drauf, wieder nichts. Ich bin bestimmt zu betrunken, um diese Fernbedienung zu verstehen, denke ich. So wenig vertraue ich mir also, wenn ich nicht nüchtern bin.


„Die erhoffte leistungssteigernde Wirkung bleibt aus,

stattdessen bin ich so schüchtern und unsicher wie noch nie.“


Am Dienstag habe ich zwei Vorlesungen und anschließend Chorprobe an der Hochschule. Auf dem Weg zur Hochschule trinke ich ungefähr eine halbe Flasche Wein. Die erste Vorlesung ist fürchterlich. Meine Freundin sitzt neben mir und weiß, dass ich getrunken habe. Sie fragt mich, wie es mir geht. Ich fühle mich unwohl und kann überhaupt nicht aufpassen. In einer Gruppenarbeit bin ich zu nichts zu gebrauchen. Die erhoffte leistungssteigernde Wirkung bleibt aus, stattdessen bin ich so schüchtern und unsicher wie noch nie. Normalerweise würde ich die Fragen des Profs beantworten können, doch so traue ich mich nicht. Würde er merken, dass ich getrunken habe? Nach der Vorlesung puste ich nochmal. Genau 0,5 Promille. Ich habe während der Vorlesung nicht getrunken, also muss ich zu Beginn deutlich über dem gewünschten Pegel gewesen sein. Erklärt das meine negativen Gefühle? Die zweite Vorlesung verläuft viel besser. Ich bin wieder ein bisschen ausgenüchtert. Der Alkoholpuster zeigt nach 45 Minuten Seminar einen Wert von 0,38 Promille. Ich bin deutlich entspannter als am Morgen, sage viel und fühle mich allgemein sehr gut. Mein Selbstbewusstsein ist deutlich besser als in der ersten Vorlesung. Der Alkohol enthemmt mich, ohne mich unsicher zu machen. Vielleicht sind 0,4 Promille für mich besser als die 0,5 Promille aus dem Film. Auf dem Weg zum Chor verlasse ich kurz den Campus und trinke im Schein der Laternen ein paar Kurze, um den Pegel aufrecht zu halten. Irgendwie schäme ich mich, als ich die Hubertustropfen aus meiner Jackentasche ziehe und verstohlen drei Flaschen aufdrehe und herunterkippe. Hoffentlich hat mich keiner gesehen.


„Irgendwie schäme ich mich, als ich die Hubertustropfen

aus meiner Jackentasche ziehe und verstohlen drei Flaschen aufdrehe und

herunterkippe. Hoffentlich hat mich keiner gesehen.“


Das Singen im Chor fällt mir leichter. Ich mache mir weniger Gedanken darüber, wie ich klinge und wie die anderen mich wahrnehmen. Normalerweise mag ich es nicht, vor Fremden zu singen. Ich bin dem Chor beigetreten, weil eine Freundin mich darum gebeten hatte. Angetrunken macht es mir richtig Spaß und ich singe begeistert mit.


Der beste Pegel scheint für mich tatsächlich bei ungefähr 0,4 Promille zu liegen. Weniger spüre ich nicht wirklich, bei mehr kann ich mich nicht konzentrieren und die positive Wirkung weicht Gefühlen der Unsicherheit. Doch in der Nacht schlafe ich schlecht und wache andauernd schweißgebadet auf. Zum Glück habe ich den Tag über genug Wasser getrunken und habe am nächsten Morgen keinen Kater.


Foto: Pixabay

Am Mittwochmorgen kommen zwei Freund:innen zum gemeinsamen „Irish-Coffee-Frühstück“ vorbei. Unser Irish Coffee besteht nur aus zwei Zutaten. Kaffee und Whiskey. Um neun Uhr morgens. Irgendetwas in mir sträubt sich mit aller Kraft gegen diese fürchterliche Kombination, doch ich zwinge mich, sie herunterzukippen. Auf dem Weg zur Hochschule zeigt mein Puster einen Wert von 0,2 Promille, es fühlt sich nach deutlich mehr an. Irgendetwas um 0,4 Promille herum, würde ich schätzen. Trotzdem trinke ich an der Haltestelle noch etwas, um sicherzugehen, dass ich den Pegel über die gesamte Vorlesungsdauer halten kann. Die Vorlesung läuft okay. Anfangs kann ich mich kaum konzentrieren und fühle mich wieder verunsichert. Merken die anderen, dass ich getrunken habe? Merkt meine Dozentin etwas?


„Ich bekomme mitten am Tag einen Kater.

Ich habe keinen Alkohol dabei, um gegen ihn anzutrinken,

also erwischt er mich mit voller Wucht.“


Doch je mehr Zeit vergeht, desto angenehmer wird es und desto aufmerksamer folge ich dem Vortrag der Dozentin. Als ich das Gefühl habe, einen optimalen Pegel erreicht zu haben, schleiche ich mich mit meinem Alkoholpuster in der Tasche auf die Toilette. Der erste Wert zeigt 0,32 Promille an. Ich puste noch einmal. Dieses Mal blinken 0,42 Promille auf dem kleinen Display auf. Irgendwo zwischen den beiden Werten scheint also mein persönlicher „Best-Pegel“ zu liegen.


Dann, auf dem Weg nach Hause erlebe ich das erste Mal diese Woche etwas, wovor es mir von Anfang an gegraut hatte und was ich unbedingt vermeiden wollte: Ich bekomme mitten am Tag einen Kater. Ich habe keinen Alkohol dabei, um gegen ihn anzutrinken, also erwischt er mich mit voller Wucht. Mir ist kalt und schlecht und auch das Wasser, das mir ein Freund gibt, kann mir nicht mehr helfen. Abends habe ich eine Verabredung, vor der ich mich eigentlich wieder „auf Pegel“ trinken wollte, doch irgendwie tue ich es nicht. Den Kater vom Mittag habe ich zum Glück überwunden, doch der Gedanke, mich zum zweiten Mal an diesem Tag zu betrinken, ekelt mich an. Auch wenn erst der dritte Tag meines Experimentes ist, genieße ich es, meiner Freundin nüchtern gegenüber zu sitzen und nicht nur so tun zu müssen. Und trotzdem, obwohl ich nüchtern ins Bett gehe, schlafe ich wieder schlecht. Ich wache ein paar Mal auf und kann nur sehr schwer wieder einschlafen.


Am nächsten Morgen erschrecke ich, als ich in den Spiegel sehe. Obwohl ich eigentlich seit Jahren keine Probleme mehr mit Pickeln hatte, ist meine Haut so schlecht wie lange nicht mehr. Ich muss weder arbeiten, noch habe ich eine Vorlesung, aber um einfach nur den ganzen Tag betrunken in meinem Zimmer zu sitzen und nichts zu tun, bin ich mir zu schade. Ich beschließe, an diesem Tag nicht zu trinken.


Doch auch am Freitag schaffe ich es nicht, mich zum Trinken zu überwinden, obwohl ich einiges zu tun habe. Zu schön war es, den Tag zuvor Frau meiner Sinne zu sein und mir nicht alle 45 Minuten ein neues Glas Wein einschenken zu müssen. Ich erinnere mich an die Worte meines Arztes und beschließe, das Experiment frühzeitig zu beenden. Ich habe keine Lust auf schlechten Schlaf, schlechte Haut und schlechte Laune. Ich rufe meinen Arzt an und berichte ihm von meinen Erlebnissen. Er erklärt mir, dass meine Schlafstörungen mit dem Alkohol zusammenhängen können. „Wenn wir getrunken haben, schlafen wir weniger erholsam, weil wir nicht so tief schlafen“, erklärt er mir. „Da ist es ganz normal, dass man nachts mal aufwacht und sich morgens nicht gut fühlt.“ Ich muss zugeben, dass mir die Idee des Experimentes zunächst witzig erschien. Eine Woche lang betrunken sein macht doch Spaß! Ich bin davon ausgegangen, dass das Experiment im Film nur am Übertreiben der Protagonisten gescheitert ist. Doch in den drei Tagen habe ich innerhalb kürzester Zeit gesehen, welche negative Auswirkungen Alkohol auf den Alltag haben kann und keinesfalls das Geheimnis für ein erfüllteres und besseres Leben sein kann. Ja, bei richtiger Dosierung hat der Alkohol meinen Hochschulalltag zeitweise tatsächlich produktiver und unterhaltsamer gemacht, doch ein dauerhafter Zustand könnte das für mich auf keinen Fall werden. Denn wenn ich auch nur ein bisschen zu viel getrunken habe, schlugen alle positiven Effekte sofort ins Negative um. Alkohol ist kein Wundermittel, dass uns dauerhaft lockerer, entspannter und offener macht. Es ist eine Droge, deren Folgen auch bei vergleichbar geringem Konsum nicht unterschätzt werden darf.


| von Ina Fokken

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