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Das Leben schmeckt auch ohne Alkohol

„Wie du trinkst heute nicht?!“, „Bist du etwa schwanger?!“, „Ein Bier ist kein Bier!“, „Komm, nur ein Drink – das geht doch klar!“


Ein Kommentar

Foto: Pexels

Solche Sätze haben alle schonmal gehört, die sich bei einer Feier gegen alkoholische Getränke entschieden haben. Ein vermeintlich kleiner Entschluss, der sehr schnell große Wellen schlagen kann. Noch zuhause entschließt man kurzerhand, heute keinen Alkohol trinken zu wollen und im nächsten Moment steht der eigene Alkoholkonsum im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Eine Studierende, die keinen Alkohol trinkt? Wie ein Fisch an Land oder ein Vogel im Wasser – das gibt es nicht.


Alkohol gehört in den Augen der Gesellschaft zum Studieren dazu, wie Bier zum Fußball, Ketchup zu Pommes und Schnee zum Winter. Wer davon abweicht, wird argwöhnisch beäugt, nicht selten ausgegrenzt oder belächelt. In der Schule hat man noch von den langen Nächten und WG-Partys im Studium geträumt und dann ist es gar nicht so, wie man es sich vorgestellt hat.


Laut einem Deutschlandfunk-Artikel von 2017 greifen Studierende öfter nach Alkohol als gleichaltrige Auszubildende. Als Gründe werden hier der steigende Stress in der neuen Lebenssituation und hohe Erwartungen an sich selbst genannt.


Die Entscheidung zum Studium hängt für die meisten mit einigen lebensverändernden Entscheidungen zusammen. Man zieht von zuhause aus, raus in eine neue Stadt. Freiheit, Eigenständigkeit und ein selbstbestimmtes Leben sind das Ziel. Endlich allein wohnen, sich nicht dafür rechtfertigen müssen, wann man heimkommt, wann man ins Bett geht und wann man aufsteht. Neue Stadt, neue Freunde, neues Ich?


In einer nichtrepräsentativen Umfrage, die im Januar 2022 an der Hochschule Magdeburg-Stendal für SUCHTPOTENZIAL durchgeführt wurde, gaben alle Teilnehmer:innen an, Alkohol zu konsumieren. Etwa ein Drittel trinkt nach eigener Angabe zwei- bis dreimal oder öfter während der Vorlesungszeit. Als Anlass für den Alkoholkonsum wurden Feiern gehen in Clubs und Bars (95 Prozent), Geburtstage (85 Prozent) und Studierenden-Partys (80 Prozent) angegeben.


Freundschaften schließen hat für viele in den ersten Wochen des Studiums höchste Priorität. Schwarmwissen nutzen ist einfacher als sich allein zurechtfinden zu müssen. Und sind wir mal ehrlich: nur weil man gerne allein ist, heißt das nicht, dass man nie einsam ist. Am besten lernt man als Studierende:r wahrscheinlich auf Partys, beim Feiern gehen oder in Bars Menschen kennen. Das Semester hat noch nicht richtig begonnen und schon sind die ersten Kneipentouren organisiert. Da ist der Alkohol nicht fern. Man möchte gut ankommen, gemocht werden und erst recht nicht ausgestoßen werden! Eine Situation, in der sich viele doch zu dem ein oder anderen Drink überreden lassen und einige gar nicht erst daran denken, nicht mitzutrinken. Knapp die Hälfte der Umfrage-Teilnehmer:innen gab an, manchmal oder sogar öfters nur Alkohol zu konsumieren, um dazuzugehören.


Doch eine Entscheidung gegen den Alkoholkonsum kann so vielfältig sein wie die Menge an Drinks, die es gibt: Angst vor unreiner Haut, gesundheitliche Probleme, religiöse Ansichten, schlechte persönliche Erfahrungen, familiärer Hintergrund, Traumata und viele mehr. Wie bei allen persönlichen Entscheidungen spielen auch beim Alkoholkonsum Faktoren eine Rolle, die von außen nicht sichtbar sind. Gerade aus diesem Grund sollten wir aufhören, uns in die persönlichen Entscheidungen anderer Menschen einzumischen.


"Ich bin belächelt worden und eine Person hat gescherzt,

ob ich schwanger sei (was ich nicht werden kann)."

- Anonyme:r Umfrageteilnehmer:in


Foto: Pexels

90 Prozent der Umfrage-Teilnehmer:innen gaben an, sich schon einmal bewusst gegen den Konsum von alkoholischen Getränken entschieden zu haben. Doch nur bei einem Drittel wurde diese Entscheidung kommentarlos akzeptiert.


Und es ist ja nicht so, als würden wir hier darüber diskutieren, ob man lieber stilles oder sprudelndes Wasser trinkt! Keine andere Droge wird in Deutschland so feierlich konsumiert wie der Alkohol. Die gesundheitlichen Risiken werden dabei oft komplett ignoriert. Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) gehören zu den gesundheitlichen Folgen von Alkohol unter anderem „Erkrankungen der Leber, der Bauchspeicheldrüse, des Herzens sowie des zentralen und peripheren Nervensystems und der Muskulatur.“ Alkohol gehöre zu den „Top Ten“ der krebserregenden Stoffe. Doch warum muss ich mich erklären, wenn ich nicht trinke, während andere auf der Party schon das zweite Bier über den Durst trinken? Sind es nicht eigentlich sie, die sich genau dafür rechtfertigen müssten?


Einerseits werden Tag für Tag die Köpfe der Menschen etwas offener, alle schauen etwas mehr über den Tellerrand, viele „Safespaces“ werden geschaffen und immer mehr neue Themen enttabuisiert. Doch andererseits muss man sich immer noch viel zu oft für Entscheidungen rechtfertigen, die das Leben anderer nicht berühren.


Wir wären alle einen Schritt weiter, wenn wir unsere Toleranz nicht zusammen mit dem ersten Bier hinunterkippen würden. Wenn uns nicht nur egal wäre, wer was isst, wer wie liebt und wer woher kommt, sondern auch, wer was trinkt. Die Zeit, die wir auf Partys damit verschwenden, den Alkoholkonsum anderer kleinlich auseinanderzupflücken, könnten wir viel besser nutzen, um über andere Themen zu sprechen. Um Erinnerungen zu sammeln, uns mit anderen auszutauschen und lange Abende über mehr oder minder tiefgreifende Themen zu philosophieren. Meinetwegen auch nur über das Wetter.


| von Rebecca Eberth

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