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Zwölf Schritte in ein besseres Leben

Es riecht nach frisch gekochtem Kaffee, die Sonne scheint durch die großen Fenster. Im Raum sitzen sieben Menschen an Tischen im Kreis. Auf den Tischen stehen Schilder auf denen steht, dass alles, was in diesem Raum gesagt wird, auch in diesem Raum bleibt. Vor jedem liegt ein Flyer mit dem Titel „Wie‘s funktioniert“. An der Wand hängt Jesus an einem Kreuz, am Fenster ein Plakat mit zwölf Schritten. Genauer gesagt mit zwölf Schritten, die in ein besseres Leben führen sollen.


Es ist eine Volkskrankheit. Alle zwölf Sekunden stirbt jemand aufgrund dieser Erkrankung. Jährlich sterben in Deutschland etwa 20 000 Menschen an ihr, während das Bundesgesundheitsministerium 1,6 Millionen Abhängige zählt. Die Rede ist hier nicht nur von einer Volkskrankheit, sondern auch von einer Familienkrankheit. Nämlich der legalen Droge Alkohol.


„Ich bin schon immer Alkoholiker gewesen, seit der Geburt an“, sagt Peter*. 25 Jahre lang war er alkoholabhängig. Mit 13 Jahren, und dem ersten Schnaps auf der Jugendweihe des älteren Bruders, fing alles an. Er merkte, dass der Alkohol etwas mit ihm machte und sofort wollte er immer mehr und mehr, weshalb er die übrig gebliebenen Reste der anderen Gäste austrank und so seinen ersten Rausch erlebte. Den ersten Schnaps vergleicht er mit Herpes. Eine Krankheit, deren Erreger jeder in sich trägt, aber der eben nur bei manchen Menschen ausbricht.

Foto: Meike Götzelmann

Der Konsum, der anfangs noch mit weiteren Abständen einherging, wurde mit der Zeit immer mehr und regelmäßiger. Aus einmal in der Woche wurde dann jeden Tag. Aus jedem Tag wurde auch während der Arbeitszeit oder vor einer Autofahrt. Bis Peter letztendlich mit zwei bis drei Flaschen Schnaps täglich und einem Promillewert von 3,0 oder höher durchs Leben ging. Die Schnapsflasche immer treu an seiner Seite. Selbst beim Schlafen stand sie neben seinem Bett, damit er, wenn er in der Nacht aufwachte, einen Schluck nehmen konnte.


Peter bezeichnet sich selbst als Spiegeltrinker. Ein: Spiegeltrinker:in ist jemand, der meist gar nicht auf den ersten Blick als Alkoholiker:in identifiziert wird. Sie halten ständig einen gewissen Pegel, weil der Alkohol ihr Treibstoff geworden ist. Sie trinken also, um überhaupt zu funktionieren.

Erst als der heute trockene Alkoholiker im Vollrausch auf seiner Arbeit randalierte und ihm deswegen fristlos gekündigt wurde, schlug sein Leben eine andere Richtung ein. Am Morgen dieses Tages dachte er noch, er würde nicht mehr als alle anderen trinken.

In der Hoffnung, sie könnten ihm seinen Job zurück verschaffen, suchte er die Suchtberatung auf. Er bekam dort einen Zettel mit verschiedenen Anlaufstellen. Auch wenn er sich zu diesem Zeitpunkt nicht als Alkoholiker betrachtete, suchte er am Abend ein Treffen der Anonymen Alkoholiker auf. Heute sagt er: „Ich bin süchtig durch AA“, da ihm erst durch dieses Programm die Augen geöffnet wurden.


Die Anonymen Alkoholiker sind eine Gemeinschaft, in der jeder willkommen ist. Ganz unabhängig vom Geschlecht, Alter oder Herkunft. Als Zutrittsbarriere zählt nur der Wunsch mit dem Trinken aufzuhören. Es geht darum, sich in der Gruppe auszutauschen, sich gegenseitig die Lebensgeschichte zu erzählen und dabei abstinent zu bleiben und anderen dazu zu verhelfen, dies ebenso zu schaffen. Sie sind kein Teil einer Sekte oder Konfession, wobei der Glaube an eine höhere Macht weit verbreitet ist.


Die AA folgen einem zwölf Schritte Programm, welches den Leitfaden zum trocken werden und trocken bleiben verkörpert. Es fängt damit an sich seine Sucht einzugestehen und endet mit dem Punkt, die Botschaft an andere Alkoholiker:innen weiterzugeben. Das Programm beschäftigt sich sehr mit dem Glauben an eine höhere Macht, ganz egal, ob man sie nun Gott, Allah oder anders nennen möchte. Des Weiteren geht es darum, bei sich selbst im Inneren aufzuräumen, mit sich, allem Erlebten und Getanen ins Reine zu kommen.

Zwei Punkte in der Mitte der Liste sollten auf keinen Fall übersehen werden. Schritt acht und neun beinhalten eine Liste mit Namen von Menschen zu führen, denen man vor seiner Abstinenz Schaden zugefügt hat und es soll probiert werden, diesen wieder gutzumachen.

Die Faustregel besagt, auf eine:n Alkoholiker:in kommen mindestens drei Angehörige. Drei Angehörige, die in der Zeit, die sie von nassen Alkoholiker:innen, zu hoffentlich trockenen Alkoholiker:innen miterleben, extrem leiden.


Lisa* hat in ihrem Leben schon einiges erlebt. Sie wuchs als Kind von zwei Alkoholiker:innen auf. Brutalität und Angst begleiteten sie auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Ihr einziger Zufluchtsort: die Großeltern. Ihre Mutter schaffte den Absprung vom Alkohol und wurde trocken. Ihr Vater starb elendig mit nur noch 35 Kilogramm an Leberzirrhose, eine mögliche Folgeerkrankung von exzessivem Alkoholkonsum.


Geprägt von der Kindheit kam es, dass ihr erster und ihr zweiter Ehemann beide Alkoholiker waren. Die erste Ehe ging relativ schnell in die Brüche, während die zweite 15 Jahre hielt.

Sie selbst wollte die Trinkerei ihres zweiten Mannes gar nicht wahrhaben. Sie ging mit

Foto: Pixabay

Scheuklappen durch die Welt, verschloss die Augen vor den überdurchschnittlichen Mengen Alkohol, die ihr Mann konsumierte. „Ich habe mir eine Scheinwelt aufgebaut“, erzählt sie. Sie flüchtete sich in die Arbeit und in ihre Bücher und hielt den Anschein, dass in dieser Familie alles in Ordnung wäre, nach außen hin aufrecht. Denn Lisa sagt: „Nicht nur der Alkoholiker lügt, sondern auch die Angehörigen“.

Als ihre Scheinwelt langsam in alle Einzelteile zerfiel, schaffte sie es letztendlich, ihrem Mann den Rücken zuzukehren, vor allem auch aufgrund des Programms Al-Anon. Es ist fast mit den Anonymen Alkoholikern gleichzusetzen, nur geht es hier nicht um die Alkoholiker:innen, sondern um deren Angehörige. Heute sagt sie, ohne dieses Programm wäre es ihr kaum möglich gewesen, all das Erlebte aus der Kindheit zu verarbeiten. Den Drang selber zu trinken hat sie nie verspürt. Fast ein Wunder, wenn man bedenkt, dass sich die Alkoholsucht in manchen Familien fast wie ein Gen von der einen auf die nächste Generation überträgt.


Wie das Schicksal so spielt, ist Lisas dritter Ehemann Peter geworden. Sie geriet zwar wieder an einen Alkoholiker, aber diesmal an einen trockenen. Die beiden sind glücklich zusammen, sie beten gemeinsam und befolgen die zwölf Schritte ihrer beiden Programme. Die Gruppe der Anonymen Alkoholiker ist ihr zweites Zuhause geworden.

Angst, dass Peter wieder trinken könnte, haben die beiden nicht, denn mittlerweile kann er sogar wieder ohne den Drang trinken zu wollen, eine Bar besuchen. Die einzige Angst, die Peter noch hat, ist, dass er aufgrund der Trinkerei noch eine Folgeerkrankung, wie Lisas Vater, bekommen könnte. Eine Folgeerkrankung, an die er auch schon einige Freunde verloren hat.


* Name geändert


| von Meike Götzelmann

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